WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Hinweise des Bundeskartellamts zur Preisbindung: Ein Schritt in die richtige Richtung

Hinweise des Bundeskartellamts zur Preisbindung: Ein Schritt in die richtige Richtung

Dr. Peter J. Schröder

Dr. Peter J. Schröder
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Im Jahr 2010 hatte das Bundeskartellamt (BKartA) Verhaltenshinweise für kooperierende Unternehmen zur sicheren Abstellung kartellrechtlicher Verstöße veröffentlicht („Handreichung“). Diese umfassten breite Ausführungen zu den als wettbewerbsrechtlich bedenklich eingestuften „Graubereichen“. Dadurch wurden die Handlungsspielräume der Unternehmen faktisch begrenzt, weil aus Gründen der Risikominimierung Verhaltensweisen nicht mehr zum Einsatz kamen, obwohl sie de lege lata nicht verboten waren. Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat dieses Ergebnis wiederholt kritisiert und auf die damit verbundenen Gefahren für den Wettbewerb aufmerksam gemacht. Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage der aktuellen Hinweise des BKartA zum Preisbindungsverbot verbunden mit der ausdrücklichen Feststellung, dass die „Handreichung“ nunmehr gegenstandslos ist (Rn. 2), nachdrücklich zu begrüßen. Die Hinweise können einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung des Vertrauens der Marktteilnehmer leisten. Die Einbeziehung der betroffenen Wirtschaftskreise in den laufenden Konsultationsprozess ist sehr positiv zu bewerten. Die Abgrenzung von erlaubtem und verbotenem Verhalten verbunden mit allerdings häufig recht eindeutigen praktischen Beispielen ist grds. auch gut geeignet, kartellrechtlich wenig versierte Praktiker in die Problematik einzuführen. Ein stärkeres Eingehen auch auf Grenzfälle wäre aber wünschenswert gewesen, um im Interesse aller Unternehmen mehr Rechtssicherheit zu schaffen.

Unverständlich bleibt, warum das BKartA den Anwendungsbereich der Hinweise auf den Lebensmitteleinzelhandel (LEH) beschränken will. Angesichts der fließenden Grenzen zwischen dem Non-Food- und Food-Bereich ist dies nicht sachgerecht. Auch im Non-Food-Bereich sind Fragen der Preisbindung relevant. Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs wäre auch deshalb sinnvoll, weil die Hinweise für den LEH zwangsläufig auch auf andere Branchen ausstrahlen werden.

Ärgerlich ist die Tatsache, dass vom BKartA wieder umstrittene Betrachtungen zur Marktposition des LEH angestellt werden. So wird die „Gatekeeper-Funktion“ des Handels betont, obwohl den Herstellern tatsächlich vielfältige alternative Absatzkanäle wie z. B. Fachhandwerk, Gastronomie, Direktvertrieb, Großhandel und der Export zur Verfügung stehen. Auch die Behauptung, die Beschaffungsmärkte des LEH in Deutschland seien „hoch konzentriert“ (Rn. 39), lässt sich bei kritischer Prüfung kaum halten, da sie auf einer unrealistischen Abgrenzung des Beschaffungsmarktes beruht. Da die Lebensmittellieferanten überwiegend international agierende Konzerne sind – der deutsche Umsatzanteil der 100 TOP-Lieferanten des LEH beträgt gerade einmal 19,6 % (Lebensmittel Zeitung, Ranking Top 100 Lieferanten Deutschland 2016, 04.11.2016) – ist der räumlich relevante Beschaffungsmarkt in der Regel gerade nicht pauschal national abzugrenzen. Das BKartA folgt trotz dieser Sachlage aber weiterhin unbeirrt der These, die großen Lebensmitteleinzelhändler seien weitgehend in der Lage, ihre „starke Marktposition in den Verhandlungen mit der Lebensmittelindustrie zu ihrem Vorteil zu nutzen“ (Rn. 40).

Im Bereich der kartellrechtlichen Beurteilung schlägt das BKartA mit seiner klaren Darstellung zu verbotenen Verhaltensweisen den richtigen Kurs ein. Im Einzelfall enttäuschen die Ausführungen aber doch, denn sie berücksichtigen nicht immer die praktischen Verhältnisse in der Lieferkette. So erwecken die Ausführungen zur unverbindlichen Preisempfehlung, Spannengarantie und zu Nachverhandlungen generell den Eindruck, als ob der LEH mit den Herstellern neben allgemeinen Konditionen stets auch über die Einkaufspreise verhandeln würde. Dies ist bei den meisten Handelsunternehmen aber der Ausnahmefall. Tatsächlich sind häufig nur die Konditionen Gegenstand der Jahresgespräche, während der Lieferant den Listenpreis einseitig festlegen und sogar während der Vertragslaufzeit anheben kann. Dass diese Usancen für die kartellrechtlich zu bewertenden Fragen nicht ohne Bedeutung sind, dürfte auf der Hand liegen. Die Prämisse des BKartA, die Handelsunternehmen hätten das wirtschaftliche Risiko ihrer Preispolitik grds. selbst zu tragen (Rn. 81), ist unter diesen Voraussetzungen kaum haltbar, auch weil die Hersteller durch die einseitige Anhebung der Fabrikabgabepreise wirtschaftliche Risiken auf den Handel übertragen. Außerdem nehmen sie insbesondere über Werbung und Innovationen erheblichen Einfluss auf die Absatzchancen. Sie haben zudem in der Praxis die besseren Produktkenntnisse.

Zum Teil geben die Hinweise dem hilfesuchenden Unternehmer auch Steine statt Brot, weil wichtige Begriffe undefiniert bleiben. Wann im konkreten Fall ein „weniger bedeutender“ und für den Händler „ersetzbarer“ Lieferant vorliegt, der einen nachfragemächtigen Händler wiederholt auf eine unverbindliche Preisempfehlung hinweisen darf (Rn. 66), bleibt ungeklärt. Wie soll die Bedeutung und Substituierbarkeit eines Lieferanten rechtssicher festgestellt werden, wo doch die Entscheidung des OLG Düsseldorf zu den „Hochzeitsrabatten“ (Urt. v. 18.11.2015, VI-Kart 6/14 (V)) gezeigt hat, dass diese Frage selbst von Fachleuten nicht eindeutig beantwortet wird? Ebenso wenig wird den Unternehmen geholfen, wenn Sachverhalte für die rechtliche Analyse nicht praxisgerecht dargestellt werden. So sorgen die Beispiele zum unzulässigen Abbruch von Geschäftsbeziehungen (Rn. 93) und zum Datenaustausch (Rn. 98) aufgrund der gewählten realitätsfernen Zeitspannen für eine in der Praxis ziemlich wertlose Rechtsklarheit.

Um die Zielsetzung der Leitlinie optimal zu erreichen, sollten sich die Ausführungen noch stärker an den praktischen Bedürfnissen und Verhältnissen in der Lieferkette orientieren. Dann können sie auch einen relevanten Beitrag zur Vermeidung kartellrechtswidrigen Verhaltens leisten.