WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Das Bundeskartellamt auf dem Weg zur Digitalagentur?

Das Bundeskartellamt auf dem Weg zur Digitalagentur?

Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley)

Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M. (Berkeley)
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Mit der 7. GWB-Novelle 2005 wurde dem Bundeskartellamt in § 32e GWB die Kompetenz eingeräumt, Sektoruntersuchungen durchzuführen. Auf dieser Basis wurden bisher zwölf Wirtschaftszweige von Außenwerbung bis Zement analysiert. Mit der 9. GWB-Novelle 2017 wurde diese Kompetenz jetzt durch die neuen Absätze 5 und 6 erweitert. Darin wird der Behörde die Kompetenz eingeräumt, Sektoruntersuchungen auch „bei begründetem Verdacht des Bundeskartellamts auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen“, durchzuführen.

Dieser Änderung war eine intensive Diskussion über den Ausbau des Bundeskartellamtes zu einer Wettbewerbs- und Verbraucherschutzbehörde nach dem Muster der niederländischen Wettbewerbsbehörde oder der US-amerikanischen FTC vorausgegangen. Der Begriff der „verbraucherrechtlichen Vorschriften“ wird dabei weit im Sinne der verbraucherschützenden Normen nach dem UKlaG (einschließlich des AGB-Rechts) und des UWG verstanden. Die Schaffung einer Befugnis des Amtes zur behördlichen Durchsetzung dieser Normen hätte einen Paradigmenwechsel bewirkt, weil das deutsche Recht in diesen Bereichen bisher auf eine weitgehend private Rechtsdurchsetzung setzt und die Notwendigkeit einer ergänzenden behördlichen Durchsetzung zweifelhaft erschien. Zu einer derart weitreichenden Änderung ist es dann letztlich auch (noch?) nicht gekommen. Die Erweiterung des § 32e GWB kann aber als erster Schritt in diese Richtung gesehen werden. Um die neuen Aufgaben zu erfüllen, hat das Bundeskartellamt schon im Juni 2017 eine Beschlussabteilung „Verbraucherschutz“ eingerichtet und von der neuen Kompetenz seither bereits mehrfach Gebrauch gemacht. Schon am 24.10.2017 erfolgte mit der Eröffnung einer Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen im Internet der erste Aufschlag. Am 13.12.2017 wurde eine zweite Sektoruntersuchung zu Smart-TVs eingeleitet.

Dass das Amt mit Blick auf die Digitalwirtschaft auch im Bereich der klassischen, wettbewerbsbezogenen Sektoruntersuchungen sehr aktiv bleibt, und wie sich beide Bereiche letztlich überschneiden, macht die seit dem 01.02.2018 laufende Sektoruntersuchung zu den Marktverhältnissen bei der Online-Werbung deutlich. Online-Werbung hat seit ihrem Start als Bannerwerbung im Jahre 1994 eine rasante Entwicklung durchgemacht. Sie zeichnete 2017 für über 40 % des weltweiten Werbegeschäfts verantwortlich und hat im gleichen Jahr die TV-Werbung als umsatzstärkste Werbeform abgelöst. Zugleich ist Online-Werbung heute eng mit den intensiv diskutierten Themen „Nutzerdaten“, „Webtracking“ und „Datenmacht“ verbunden, weil auf den Nutzerdaten basierende, personalisierte Werbung schlichten Werbebannern schon lange den Rang abgelaufen hat. Dazu werden oft auch Datenbestände von Tochterunternehmen oder von dritter Seite in die Big-Data-Analyse einbezogen. Bezüge zu den laufenden Ermittlungen des Amtes gegen Facebook sind offensichtlich.

Personalisierte Online-Werbung finanziert eine Reihe überaus nützlicher Dienste und ist in vielen Bereichen das ökonomische Rückgrat der Internetwirtschaft. Es gibt daher keinen Grund, sie a priori zu verteufeln. Andererseits besteht aufgrund von Skalen- und Netzwerkeffekten schon seit geraumer Zeit die Besorgnis einer Vermachtung des Marktes für Online-Werbung zugunsten von Unternehmen, die sowohl über riesige Nutzerzahlen und „Datenschätze“ als auch über sehr umfassende Beziehungen zu Werbekunden verfügen. Das Bundeskartellamt möchte daher im Rahmen der jüngsten Sektoruntersuchung neben dem Zugang zu und der Verarbeitung von Daten besonders der Frage nachgehen, ob im Bereich Online-Werbung sog. „walled gardens“ großer Unternehmen wie Facebook oder Google entstanden sind oder entstehen könnten, durch welche andere Unternehmen von den wichtigen Online-Werbemärkten verdrängt oder ausgeschlossen werden.

Das ist ein ebenso schwieriges wie potentiell verdienstvolles Unterfangen. Aufgrund seiner großen juristischen und ökonomischen Kompetenz, aber auch mit Blick auf seine politische Unabhängigkeit ist das Amt hierfür gut gerüstet. Eine Sektoruntersuchung erscheint dafür auch besser geeignet als ein Missbrauchsverfahren, das nur bei einem hinreichenden Anfangsverdacht beginnen kann, nur gegen ein bestimmtes Unternehmen gerichtet ist und mit Blick auf die eingesetzten Ressourcen immer auch einem gewissen „Erfolgsdruck“ ausgesetzt ist. Eine stärker ergebnisoffene Sektoruntersuchung kann dazu beitragen, Probleme frühzeitig zu erkennen und abzustellen, aber auch ganz einfach Erfahrungen in Bereichen zu sammeln, die – wie die Plattform- und Datenwirtschaft des Internets – noch im Fluss und oft terrae incognitae sind. Als eine Art Entdeckungsverfahren kann sie einen Beitrag zum Schutz des Wettbewerbs nicht nur vor mächtigen Unternehmen, sondern auch vor übereifrigen Politikern leisten. Sie kann den Boden für Missbrauchsverfahren bereiten, aber auch nicht immer begründete Ängste vor der Digitalwirtschaft sachlich einhegen und dadurch einem (gesetzgeberischen) Overenforcement vorbeugen. Den Wettbewerb auch und gerade im Internet in beide Richtungen zu verteidigen, ist vornehmste Aufgabe des Bundeskartellamtes als Wettbewerbsbehörde. Damit dient es zugleich mittelbar dem Verbraucherschutz, ohne ihn als dezidierte Verbraucherschutzbehörde oder „Digitalagentur“ bürokratisch durchsetzen zu müssen.