WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Compliance Defense – neuer Schwung aus Karlsruhe?!

Compliance Defense – neuer Schwung aus Karlsruhe?!

Dr. Lars Maritzen, LL.B MLE / Dr. Christian H. Müller, LL.M. Eur.

Dr. Lars Maritzen, LL.B MLE
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Dr. Christian H. Müller, LL.M. Eur.
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Jüngst lässt ein Urteil des 1. Strafsenats des BGH (09.05.2017, 1 StR 265/16) hoffen, die Frage, ob Compliance-Maßnahmen bzw. ein Compliance-Management-System (kurz: CMS) bei der Bemessung eines kartellrechtlichen Bußgeldes zu berücksichtigen sind, nunmehr (endlich) positiv beantworten zu können. Die Richter des Strafsenats befanden – soweit ersichtlich erstmals höchstrichterlich – unter dem Vorsitz von Dr. Raum, auch Mitglied des Kartellsenats, im Rahmen einer Entscheidung wegen Steuerhinterziehung (vgl. Rn. 118): „Für die Bemessung der Geldbuße ist zudem von Bedeutung, inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss […]. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.

Dass für die Bemessung des Bußgeldes im Rahmen des § 30 OWiG von Bedeutung ist, ob ein effizientes CMS installiert worden sei, wirkt wie Balsam auf die Seele eines jeden, der sich für Compliance einsetzt. Von einer eindeutigen Klarstellung bzgl. des „Ob“ und „Wie“ einer Berücksichtigung sind wir indes noch einige Schritte entfernt.

Bisher werden die Fragen, ob und inwieweit Compliance-Maßnahmen bei der Sanktionierung von Kartellrechtsverstößen als Compliance-Defense zu berücksichtigen sind, kontrovers diskutiert; sie waren bereits Gegenstand einiger wissenschaftlicher Abhandlungen (u. a. auch der Dissertation des Verf. C. H. Müller; für einen Überblick Dietrich/Linsmeier, NZKart 2014, 485 ff.). Trotz vielfacher berechtigter Kritik, dass Compliance-Maßnahmen grds. bußgeldmindernd zu berücksichtigen sein sollten, schallt es bis heute vom Bundeskartellamt (BKartA) und der Kommission einheitlich: Nein! Compliance-Maßnahmen bzw. ein CMS sind nicht bei der Bußgeldbemessung zu berücksichtigen! Begründung: Der Verstoß würde gerade zeigen, dass das CMS nicht wirksam bzw. ineffektiv sei.

Dieser kategorische Ausschluss ist aus mehreren Gründen abzulehnen. Dies zeigt nun auch das Urteil des Strafsenats. Zwar handelt es sich um eine Feststellung in einem steuerstrafrechtlichen Urteil. Dennoch wird sich das BKartA diesen Feststellungen nur schwerlich gänzlich verschließen können. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung, der gleichlaufenden Anknüpfung an die Vermeidungspflicht von Rechtsverstößen und der in diesem Bezug vergleichbaren Ahndungsintensität des Straf- und Kartellrechts ist es nur folgerichtig, die Feststellung des 1. Strafsenats auch bei der Bemessung einer kartellrechtlichen Geldbuße anzuwenden.

Es ist zugleich systemkonform und i. S. eines internationalen Systemwettbewerbs geboten, Compliance-Maßnahmen zu berücksichtigen – gerade wenn man sich die Praxis in anderen Ländern ansieht, z. B. Kanada, Italien, UK, Frankreich, Österreich oder Brasilien. Diese Länder haben in ihren Bußgeldleitlinien z. T. sogar explizit festgehalten, dass es für ein effizientes CMS eine Minderung geben kann oder es sind Abschläge für Compliance-Maßnahmen gerichtlich anerkannt (vgl. österr. Kartellgericht, 07.10.2013, 25 Kt 105/13 – Emmi). Die Anschlussfrage bleibt: Gilt dies nur für das bereits bestehende CMS und/oder nachträgliche Maßnahmen. Wollte man z. B. nur nachträgliche Maßnahmen erfassen, ist weiter fraglich, ob auch derjenige in den Genuss der Minderung kommt, der ein (eigentlich) perfektes CMS hat und es nur durch individuelles Fehlverhalten zum Verstoß kam.

Man sollte sich daher v. a. der Frage zuwenden, unter welchen Bedingungen eine Berücksichtigung erfolgen kann. Entscheidend ist, ob das CMS (i) zum Risikoprofil der Gesellschaft passt, (ii) alle wesentlichen Risiken abdeckt, (iii) die Risiken entsprechend gesteuert werden sowie, für den Fall eines dennoch aufgetretenen Verstoßes, (iv) welches Gewicht der Verstoß hat (leicht, mittel, schwer) und in welchem Risikobereich sich dieser verwirklicht hat. Systemkonform wäre die Berücksichtigung deshalb, weil der pauschale Hinweis auf einen „Fehler“ im CMS nicht ausreichend berücksichtigt, wie vielschichtig Risiken in einem Unternehmen gelagert sind, dass diese sich regional stark unterscheiden und es z. B. auch individuelles Fehlverhalten trotz klarer Regeln gibt. In diesem Fall sollte ein CMS zu einer (teilweisen) Enthaftung der Geschäftsführung und des Unternehmens führen.

Denn anerkannt ist, dass der Vorstand bereits aus seiner Legalitätspflicht heraus zur Umsetzung entsprechender organisatorischer Maßnahmen verpflichtet ist, sodass das „Ob“ der Einrichtung eines CMS nicht mehr in Frage steht (vgl. LG München, Urt. v. 10.12.2013, 5 HKO 1387/10 – Neubürger). Diese Lesart spiegelt sich auch in der aktualisierten Ziff. 4.1.3, Satz 2 DCGK wider, wonach der Vorstand für angemessene, „an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtete Maßnahmen (Compliance Management System)“ zu sorgen hat und deren Grundzüge offenlegen muss. Diese faktische Verpflichtung unterstreicht – auch rechtsformunabhängig – welche Bedeutung Compliance in Unternehmen beigemessen wird.

Dies wird negiert, wenn pauschal behauptet wird, ein CMS könne niemals bußgeldmindernd wirken, ohne sich damit auseinanderzusetzen, ob es u. U. trotz eines Kartellrechtsverstoßes wirksam eingeführt wurde und gelebt wird bzw. ohne Nachtatverhalten zu berücksichtigen. So bleibt nach dem Urteil die Hoffnung, dass Compliance nicht nur als Anforderung an die Unternehmensleitung gesehen wird, sondern umgekehrt auch bei der Bußgeldzumessung entsprechend positiv berücksichtigt wird – wie es der 1. Strafsenat nun scheinbar aufgibt.