WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Ein gut gefüllter Werkzeugkasten – Verfolgung von Kartellrechtsverstößen durch die EU-Kommission nach Einführung des Instruments für Whistleblowing

Ein gut gefüllter Werkzeugkasten – Verfolgung von Kartellrechtsverstößen durch die EU-Kommission nach Einführung des Instruments für Whistleblowing

Dr. Johannes Holzwarth, LL.M. (University of Chicago)

Dr. Johannes Holzwarth, LL.M. (University of Chicago)
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Während Ökonomen und Juristen in einigen Bereichen der Wettbewerbspolitik streiten, ob bestimmte Praktiken zulässig sein müssten, besteht bei Kartellen ein allgemeiner Konsens: Sie sind volkswirtschaftlich schädlich und per se verboten. Die EU-Kommission ist bei der Durchsetzung des Kartellverbots auf Instrumente angewiesen, die effektiv zur Aufklärung derartiger Verhaltensweisen beitragen. Das seit März 2017 auf den Internetseiten der Generaldirektion Wettbewerb freigeschaltete anonyme Kommunikationssystem für Whistleblower ist nun eines dieser Instrumente (alle praktischen Informationen, auch zur Telefonhotline und E-Mail-Adresse, sind abrufbar unter ec.europa.eu/competition/cartels/whistleblower/index.html).

Eine umfängliche Definition des Whistleblowing existiert nicht. Sie ist auch nicht aus der allgemeinen Debatte hervorgegangen, die seit dem Fall Snowden auf verschiedenen Ebenen geführt wird (vgl. Edwards, Die Rechtmäßigkeit von Whistleblowing in der Öffentlichkeit nach der EMRK und nach deutschem Recht, 2017, S. 7 f.). Für die Zwecke des Kartellrechts lassen sich Whistleblower bei engerem Verständnis als „nicht oder nur marginal kartellbeteiligte“ Einzelpersonen begreifen, die Informationen zu möglicherweise kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen preisgeben (siehe Bueren, ZWeR 2012, 310, 311). Da das europäische Kartellrecht keine Sanktionen gegen natürliche Personen vorsieht, kann die EU-Kommission den Begriff allerdings weiter auslegen und sich mit ihrem Meldesystem auch an Einzelpersonen wenden, die in eine Zuwiderhandlung unmittelbar involviert waren. Das Instrument für Whistleblowing unterscheidet sich damit vom Kronzeugenprogramm, auf dessen Basis Unternehmen ihre Kartellbeteiligung gegenüber der EU-Kommission selbst offenlegen. Sie tun dies, um im Gegenzug einem Bußgeld zu entgehen bzw. von einer Bußgeldreduktion zu profitieren. Privaten Schadensersatzklagen können Unternehmen mit diesem Vorgehen freilich nicht entkommen.

Die Motivation von Whistleblowern ist oft weniger klar. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Einzelperson – wie auch beim Meldesystem der EU-Kommission – keine Prämie dafür erhält, dass sie Insiderwissen an die Kartellbehörde weitergibt. Der Einwand, Whistleblowing wende sich vor allem an Querulanten, ist aber zu kurz gegriffen. Erstens können sich unzufriedene Mitarbeiter, Kunden oder Wettbewerber auch ohne die Kummerkästen der Kartellbehörden Gehör verschaffen. Zweitens haben Unternehmen bei unberechtigten Verdächtigungen jedenfalls zivil- und strafrechtliche Möglichkeiten. Außerdem sollten sie möglichen Whistleblowern durch Compliance-Schulungen Alternativen anbieten. Drittens dürfte die EU-Kommission Eingaben von frustrierten Einzelpersonen sorgsam einordnen. Wenn sie anonym erfolgen, erscheinen Angaben von Whistleblowern verfahrensrechtlich nur dann besonders dienlich, wenn sie detailreich, sachlich und überprüfbar sind.

Die EU-Kommission steht mit dem Instrument nicht alleine da. Die Kartellbehörden anderer Jurisdiktionen verfügen ebenfalls über derart anonyme Meldesysteme für Whistleblowing, etwa diejenigen in Dänemark und Rumänien. Auch das Bundeskartellamt kann seit Juni 2012 solche Informationen über ein spezielles Postfach in Empfang nehmen.

Sowohl die EU-Kommission als auch das Bundeskartellamt haben bei Einführung des Instruments die technischen Merkmale hervorgehoben, welche die Anonymität des Informanten sichern und eine zweiseitige Kommunikation zwischen Behörde und Whistleblower ermöglichen. Das so ausgestaltete Meldesystem ist darauf ausgelegt, die sichtbar gewordenen Schwierigkeiten beim Umgang mit Eingaben von Einzelpersonen zu beseitigen. Einerseits mussten Whistleblower, die Repressalien fürchteten, oft auf die schlichte Zusicherung der Anonymität durch den Empfänger der Insiderinformation vertrauen. Andererseits konnten sich auf Seiten der Kartellbehörden Rückfragen ergeben, die nochmalige Kontaktaufnahmen mit dem Whistleblower erforderlich gemacht hätten. Das neue Meldesystem des Bundeskartellamts scheint jedenfalls gut zu funktionieren, wie sich den öffentlichen Anmerkungen der Behörde entnehmen lässt.

Das Instrument für Whistleblowing ist auch für die EU-Kommission ein effektives Werkzeug bei der Durchsetzung des Kartellrechts, das die traditionellen Instrumente der Informationsgewinnung in Form von Durchsuchungen, Auskunftsverlangen und Kronzeugenprogrammen ergänzt. Es ist vor allem darauf ausgelegt, Hardcore-Kartelle aufzudecken, weil die daran beteiligten Personen zunehmend geschickter vorgehen. Vereinbarungen folgen teilweise ausgeklügelten Geheimsprachen, werden mit Hilfe neuer Technologien getroffen und insgesamt seltener schriftlich fixiert. Insiderinformationen von Personen im Umfeld von Kartellaktivitäten können hier helfen, konspiratives Verhalten aufzudecken. Das neue Instrument für Whistleblowing erhöht die Aufdeckungswahrscheinlichkeit und trägt damit zur Destabilisierung von Kartellen bei. Diese beiden Aspekte könnten Unternehmen dann wiederum Anreize bieten, das Kronzeugenprogramm in Anspruch zu nehmen.