WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Kohärenz und einheitliche Standards im EU-Wettbewerbsrecht

Kohärenz und einheitliche Standards im EU-Wettbewerbsrecht

Dr. Andreas Schwab

Dr. Andreas Schwab
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Seit nun fast 15 Jahren arbeiten die nationalen Wettbewerbsbehörden (NWB) mit der Europäischen Kommission im Netzwerk der europäischen Wettbewerbsbehörden (European Competition Network, ECN) eng zusammen. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 wurde ein institutioneller Rahmen für diese Zusammenarbeit geschaffen, der sich über die Jahre durchaus als ein sehr erfolgreiches Kooperationsbeispiel zwischen nationalen und europäischen Behörden erwiesen hat. Seither wurden innerhalb des ECN mehr als 85 % der Entscheidungen wegen Verstößen gegen Art. 101 und 102 AEUV von NWB getroffen. Und trotz ihrer zentralen Rolle gibt es zwischen den Mitgliedstaaten noch immer wesentliche Unterschiede im Hinblick auf Kompetenzen und Instrumentarien dieser Behörden. Dass damit aber noch immer eine inkohärente Durchsetzung der im Primärrecht verankerten Wettbewerbsregeln einhergeht, ist für den europäischen Binnenmarkt nicht hinnehmbar.

Deshalb hat die Europäische Kommission im März 2017 einen Richtlinienvorschlag (COM(2017) 142) zur Stärkung der NWB veröffentlicht mit dem Ziel, die einheitliche Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts in der gesamten Union sicherzustellen. Durch die Wahl von Art. 103 und 114 AEUV als Rechtsgrundlagen für die Richtlinie konnte das Europäische Parlament − nach der EU-Schadensersatzrichtlinie 2014/104/EU − zum zweiten Mal im Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts im Mitentscheidungsverfahren als Gesetzgeber mitwirken.

Das Parlament konnte unter meiner Führung als Berichterstatter für eine stärkere Vereinheitlichung der Befugnisse und der Instrumentarien der NWB sorgen. Denn nur durch eine einheitliche Anwendung der gemeinsamen europäischen Wettbewerbsregeln und durch gemeinsame Standards können ein fairer Wettbewerb, ein funktionierender Binnenmarkt sowie Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen gewährleistet werden. Der Rat hingegen wollte an einigen Stellen die unterschiedlichen nationalen Rechtstraditionen und -praktiken sowie Zuständigkeiten der NWB unberührt lassen. Im Mai dieses Jahres haben sich beide Gesetzgebungsorgane auf den finalen Text der Richtlinie einigen können.

Verteidigungsrechte der Unternehmen

Ein Kernpunkt während der interinstitutionellen Verhandlungen zwischen Rat und Parlament waren die Verteidigungsrechte der Unternehmen. Es ging um die richtige Balance zwischen effektiven Befugnissen der Behörden und angemessenen Verteidigungsrechten auf der Unternehmensseite. Während der Rat diesen wichtigen Punkt erst nicht antasten wollte, reichte aus Sicht des Parlaments ein bloßer Verweis auf die Grundrechtecharta − wie ursprünglich von der Kommission in Art. 3 des RL-Entwurfs vorgeschlagen − nicht aus. So konnte das Parlament etwa das Recht auf Anhörung, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor Gericht, den Anspruch auf eine Mitteilung der Beschwerdepunkte sowie auf die Durchführung von Verfahren innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens als im verfügenden Teil der Richtlinie niedergelegte Rechte durchsetzen. Ebenso konnten in Art. 8 der Richtlinie der Grundsatz in Anlehnung an das EuGH-Urteil Orkem/Kommission von 1989 eingeführt werden, dass Unternehmen nicht zum Eingeständnis einer Zuwiderhandlung gezwungen werden können, sowie die Bestimmung, dass Auskunftsverlangen spezifisch und angemessen sein müssen.

Einheitliche Kronzeugenregelungen

Ein Streitpunkt war die Kronzeugenregelung: Das Parlament unterstützte den Kommissionsvorschlag, etwa durch Kurzanträge (Art. 21 RL-Entwurf) mehr Anreize für Unternehmen zu schaffen, von der Kronzeugenregelung Gebrauch zu machen. Am Ende bleibt die Richtlinie aufgrund der Besorgnis der NWB im Hinblick auf ihre Zuständigkeiten hinter der Position des Parlaments zurück. So sollen in Zukunft Kurzanträge bei den NWB nach Antragstellung bei der Kommission zwar möglich sein − allerdings nur in den Fällen, in denen mehr als drei Mitgliedstaaten betroffen sind. Diese Einschränkung wurde vom Rat aus Bedenken einer zu starken Zentralisierung der Kronzeugenanträge bei der Kommission durchgesetzt. Auch eine „Fünf-Tage-Regelung“ (Art. 21 Abs. 7 RL-Entwurf), nach der auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Einreichung des Kronzeugenantrags bei der Kommission abgestellt werden sollte und die der Idee eines „One-Stop-Shops“ auf EU-Ebene am nächsten kam, war beim Rat nicht mehrheitsfähig. Das Parlament konnte am Ende zumindest sicherstellen, dass das bislang unverbindliche ECN-Kronzeugenregelungsmodell von 2006 noch stärker im Richtlinientext eingebettet wurde und die nationalen Kronzeugenregelungen in Zukunft einheitlicher werden (etwa in Art. 19 der Richtlinie).

Ausblick

Nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU Ende dieses Jahres haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie wird zweifellos eine kohärentere und effizientere Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts sicherstellen, die sich auf den Wettbewerb und den europäischen Binnenmarkt positiv auswirken wird. Das Europäische Parlament wird die konkrete Umsetzung sorgfältig verfolgen, insb. etwa im Hinblick auf die Verfahren für Bebußungen (Art. 13 der Richtlinie), die in diesem Gesetzgebungsverfahren nicht EU-weit vereinheitlicht wurden. So bleibt das Ordnungswidrigkeitenverfahren in Deutschland weiterhin anwendbar, obwohl die Kommission ursprünglich eine Einengung auf Verwaltungsverfahren vorgesehen hatte. Es bleibt abzusehen, inwiefern die Kommission nach Annahme der Richtlinie ihrer politischen Zusage, einstweilige Maßnahmen im digitalen Sektor zu erleichtern, nachkommen wird.