WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Daten als Zugangsobjekt: Braucht es ein „Daten für alle“-Gesetz?

Daten als Zugangsobjekt: Braucht es ein „Daten für alle“-Gesetz?

Stefan Schmidt

Stefan Schmidt
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Vor einiger Zeit äußerte Heiko Maas, damals noch Justizminister, den Gedanken, man müsse einen Zugang zu Algorithmen großer Internetkonzerne schaffen, um deren Marktmacht zu brechen. Nun wagte sich SPD-Chefin Andrea Nahles aus der Deckung und schlug ein „Daten für alle“-Gesetz vor. Damit erntete sie, anders als vormals Maas, weitgehend positive Reaktionen. Und das zu Recht – mit den Daten wurde endlich der richtige Hebel gefunden, der die Marktstärke von Google und Facebook begünstigt. Peter Norvig, Googles Director of Research, räumte bereits 2010 ein: „We don’t have better algorithms […]; we just have more data”. Es lohnt sich also, darüber nachzudenken, wie möglichst viele Unternehmen an Daten partizipieren können und unter welchen Umständen dies zu mehr Wettbewerb führt.

In aller Regel können Daten von mehreren Unternehmen genutzt werden, ohne dass sie „verbraucht“ werden – sie sind nicht-rival. Wettbewerbsökonomisch ist die Datenverwertung durch nur ein Unternehmen daher ineffizient. Jedoch hüten die Dateninhaber ihre Datenschätze gut. Google gewährt Drittunternehmen bislang kaum Zugriff auf eigene Daten. Facebook ist etwas weniger restriktiv, allerdings unberechenbar. 2015 sperrte das Unternehmen unabhängigen Entwicklern von Apps den Datenzugriff auf seinen „Social-Graph“. Bereits entwickelte Apps von Drittunternehmen, die auf die Datenschnittstelle angewiesen waren, waren damit über Nacht kaum noch zu gebrauchen.

Nahles fordert, dass marktmächtige Unternehmen ihren Datenschatz anderen Unternehmen zur Verfügung stellen müssen. Ob dafür wirklich ein neues Gesetz vonnöten ist, ist bislang ungeklärt. Wenn sich der Fokus alleine auf marktbeherrschende Unternehmen richten soll – andere Stimmen gehen noch weiter und wollen aufgrund der erhöhten Konzentrationstendenz plattformgetriebener Märkte diese bereits frühzeitig, d. h. vor ihrer abzusehenden Marktbeherrschung, regulieren –, dann verfügt das Kartellrecht heute schon über die Instrumente, Drittunternehmen Zugang zu Daten zu gewähren. Reflexartig fällt das Stichwort „Essential-Facilities-Doktrin“ (EFD), und das nicht ganz zu Unrecht. Die Grundkonstellation, dass ohne Zugang zu einem Bottleneck kein Wettbewerb auf einem abgeleiteten Markt möglich ist, scheint vergleichbar. Dennoch bestehen erhebliche Bedenken, ob der Zugang zu Daten mit dem Zugang zu physischen Einrichtungen oder zu IP-Rechten gleichgesetzt werden kann.

Anders als bei IP-Rechten besteht in aller Regel de iure kein Verfügungsrecht des Dateninhabers. Die Kontrolle über die Daten folgt, wenn überhaupt, nur aus der datenschutzrechtlichen Einwilligung inter partes. Das ist ein Problem: Bei den bisherigen Fällen zur EFD wurden im Rahmen der Interessenabwägung stets die (Eigentums-)Rechte des Inhabers der Einrichtung betont. Kann sich der Einrichtungsinhaber nur auf eine De-facto-Position berufen, müssten diese Hürden gesenkt werden. Das gilt umso mehr, da auch der Innovationsschutz, anders als bei IP-Rechten, bei Daten nicht als Rechtfertigung gegen einen Zugang herhalten kann. Ein möglichst offener Datenzugang ist auch im Sinne des Europäischen Gesetzgebers. Im Rahmen der Datenbankrichtlinie betont dieser, dass Informationen nicht monopolisiert werden dürfen. Deshalb erstreckt sich deren Schutz nur auf Datenbanken und nicht auf die darin aggregierten Daten. Man könnte also meinen, dass mit einem „Daten für alle“-Gesetz auch „alle“ glücklich wären.

Doch ein vollständig freier Datenzugang brächte ein anderes Problem mit sich – den Datenschutz. Die Öffentlichkeit wurde durch die DSGVO und den Cambridge-Analytica-Skandal gerade erst diesbezüglich sensibilisiert. Das Spannungsfeld zwischen Wettbewerbsrecht und Datenschutzrecht soll aufgelöst werden, indem sich der Zugang nur auf anonymisierte Daten beschränken soll. Freilich liegt der Wert der Daten bei Plattformkonstellationen meist gerade in ihrem Personenbezug. Nur dort, wo Informationen in Daten auch ohne Personenbezug wettbewerbsrelevant sein können, würde das Gesetz wirken. Zuvörderst käme das Beispiel der Selbstverstärkungseffekte bei Suchergebnissen oder bei bestimmten Empfehlungsstrukturen in Betracht. Dieser bescheidene Anwendungsbereich dürfte kaum ausreichen, um die Macht der großen Internetkonzerne effektiv einzudämmen. Und er wird noch enger, wenn man sich vor Augen hält, dass heute praktisch jedes von Nutzern im Internet erzeugte Datum personenbezogen ist, da durch Big-Data-Analysen die Deanonymisierung zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Das bedeutet, dass der Großteil der Daten von vornherein nicht geteilt werden darf. Die Selektion obliegt dem Dateninhaber und damit denjenigen Unternehmen, die für ihren Datenschutz nicht gerade bekannt sind und auf diesem Wege zudem wettbewerblich relevante Daten ausfiltern können.

Diese ausgewählten Fragen zeigen, dass im Zusammenspiel zwischen Daten und Wettbewerbsrecht noch vieles ungewiss ist. Ein neues Gesetz würde wenig Abhilfe schaffen, da es ohnehin kaum neue Fälle erfassen würde und um wirksam zu sein, datenschutzrechtlich relevante Daten geteilt werden müssten. Daher sollte zunächst geklärt werden, wann ein Zugang zu Daten de lege lata nach Art. 102 AEUV und §§ 19, 20 GWB in Betracht kommt. Daneben sollte abgewartet werden, ob das neue Recht auf Datenportabilität aus Art. 20 DSGVO dazu beiträgt, Lock-In-Zustände zu überwinden und damit Monopole aufzubrechen. Erst wenn dies nicht klappt, muss über weiterführende Maßnahmen nachgedacht werden.