WIRTSCHAFT und WETTBEWERB
Superstars, Makroökonomie und Wettbewerbspolitik

Superstars, Makroökonomie und Wettbewerbspolitik

Dr. Thorsten Käseberg

Dr. Thorsten Käseberg
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Spätestens wenn der Economist fragt, ob die digitalen „Superstar“-Unternehmen „BAADD” – „big, anti-competitive, addictive, destructive to democracy” – sind, wenn ordnungspolitische Einsichten von Eucken in den USA als „hipster antitrust“ zurückkehren und wenn sich die „Königsdisziplin“ der Makroökonomie wie jüngst beim Treffen der Zentralbanker in Jackson Hole intensiver mit Wettbewerb(spolitik) befasst, ist klar: es liegen strukturelle Herausforderungen auf dem Tisch – und es besteht die Chance, eine aktive Wettbewerbspolitik wieder stärker ins Zentrum der Wirtschaftspolitik zu rücken.

Steigende Marktmacht und mögliche Zusammenhänge

Die Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung auf Marktstrukturen hat in den vergangenen drei Jahren eine neue makroökonomische und politische Dimension erhalten. Empirische Arbeiten des US Council of Economic Advisors (2016), der OECD (2018) und des IWF (2018) sowie aus der Wissenschaft (u. a. De Locker/Eeckhout, The Rise of Market Power and the Macroeconomic Implications, NBER 2017, kritisch dazu Edmond/Midrigan/Xu, How Costly are Markups?, NBER 2018) haben insbesondere für die USA eine sektorübergreifende Zunahme der Unternehmenskonzentration und von Preisaufschlägen festgestellt. Für die USA wird mit dem Aufstieg von überdurchschnittlich effizienten Superstar-Unternehmen ein Teil des Anstiegs der Einkommensungleichheit (Furman/Orszag, Slower Productivity and Higher Inequality: Are They Related?, PIIE 2018) und des Sinkens der Lohnquote (Autor/Dorn/Katz/Petterson/Van Reenen, The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms, NBER 2017) erklärt.

In Deutschland ist das Bild differenzierter. Hier verlief die durchschnittliche Konzentration in einzelnen Wirtschaftsbereichen von 2007 bis 2015 nahezu konstant. Allerdings sind die Preisaufschläge über die vergangenen Jahrzehnte stetig und vor allem nach der Finanz- und Wirtschaftskrise angestiegen (Monopolkommission, Hauptgutachten 2018; Wambach/Weche, The Fall and Rise of Market Power in Europe, ZEW 2018).

Mögliche Ursachen

Als Ursache für die gefallene Wettbewerbsintensität wird für die jüngere Vergangenheit der Winner-takes-all-Mechanismus auf Plattformmärkten genannt. Während in der Phase der Markterschließung der Wettbewerb intensiv ist und die Netzwerkeffekte als solche effizient sind, kann die Gewinnerplattform Preise erhöhen, ihre Marktmacht strategisch absichern und auf andere Märkte hebeln. Als weitere Erklärung für höhere Konzentration wird die bessere Skalierbarkeit der Produktion dank neuer Technologien genannt.

Als weitere Ursache werden Innovationsvorsprünge diskutiert. Der Anstieg der Konzentration ist in Sektoren mit starkem technologischen Wandel besonders hoch; Unternehmen mit hoher Innovationsrate und Produktivität setzen sich ab, insbesondere bei KI. Die F&E-Märkte selbst weisen eine relativ hohe Konzentration auf; allerdings hat diese etwa im Digitalsektor über die vergangenen Jahre nicht zugenommen (Veugelers, Are European firms falling behind in the global corporate research race?, Bruegel 2018).

Eine weitere vor allem für die USA diskutierte Erklärung ist ein Durchsetzungsdefizit der Wettbewerbsbehörden. Aber auch für die EU wird mittlerweile der „track record“ bei der Fusionskontrolle kritisch hinterfragt (Motta, We are too soft on mergers, Rede 2017). 2018 wurde bei der Kommission die Rekordzahl von 414 Fusionen angemeldet, es gab keine Untersagung.

Mögliche Lösungen

Weitere Forschung zu den Wirkungszusammenhängen von Konzentration, Marktmacht und makroökonomischen Variablen ist angezeigt. Auf der Agenda steht etwa die Klärung folgender Fragen: Relevanz von Preisaufschlägen in der Fusionskontrolle (u. a. Valetti/Zenger, JECLP 2018, 336); Folgen der Käufe potenzieller Wettbewerber oder F&E-Leader durch marktstarke digitale Plattformen etwa im Hinblick auf die Absicherung ihres Ökosystems und Innovation, inkl. „Killer“-Akquisitionen; ex post-Analyse von Freigaben problematischer Fusionen und der Wirksamkeit von Bedingungen und Auflagen. Für Deutschland sind hierfür Sachverstand und Arbeit der Monopolkommission zentral. Auch das BMWi wird diesen Fragen stärker nachgehen.

Die bisherigen Befunde legen nahe, dass die zunehmende Digitalisierung mit einer Zunahme von Konzentration und Preisaufschlägen einhergehen kann. Je stärker die Digitalisierung in weitere Lebensbereiche vordringt, desto wichtiger wird der längerfristige (Innovations-)Wettbewerb zwischen digitalen Ökosystemen, auch im Vergleich zu kurzfristigen Konsumentenrenten. Dafür ist eine strikte Anwendung von Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht und, wo nötig, eine Schärfung der Instrumente angezeigt. In der Missbrauchsaufsicht kann dies selbstverständlich auch dazu führen, dass etablierte Anbieter ihre – von den Verbrauchern liebgewonnenen, etwa weil kostenlosen – Geschäftsmodelle ändern müssen.

Das BMWi wird in diesem Jahr den Referentenentwurf für die 10. GWB-Novelle vorstellen, die die Missbrauchsaufsicht stärken soll. Auch die vom BMWi eingesetzte Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 wird ihre Empfehlungen aussprechen. Auf EU-Ebene werden die drei Sonderberater von Kommissarin Vestager ihren Abschlussbericht zu den Herausforderungen der Digitalisierung vorlegen. Ob in den USA die laufenden Anhörungen der FTC zu „Competition and Consumer Protection in the 21st Century“ dazu führen, dass dort der „antitrust hipster“ zum mainstream wird, bleibt allerdings abzuwarten.